Impulse, Reformation 2021-11-25

„… auf Gott frei und fröhlich pochen …“

von Hans–Christian Beutel

Was treibt Luther im Dezember 1521?

Am 3. Dezember 1521 kehren zwei Studenten beim Gastwirt Johannes Wagner in Leipzig ein. Sie kommen in’s Gespräch mit einem Reisenden in grauer Reiterkleidung und rotem Birett. `Was es denn für Neuigkeiten aus Wittenberg gäbe?´ – das will der Reiter von ihnen wissen. `Nun, da tue sich so allerhand!´ – so erzählen die Studenten. `An der Stadtkirche predigen jetzt Propheten aus Zwickau und Pfarrer Bodenstein wird wohl bald das Abendmahl mit Brot und Wein austeilen. Das stelle man sich doch mal vor: Mit Wein! Der sei doch sonst den Priestern allein vorbehalten!´

Nachdenklich schweigt der Reiter. Er wird so schweigsam, dass es die beiden Studenten irritiert. Irgendetwas an ihrer Erzählung scheint ihn persönlich zu beschäftigen. Aber immerhin zahlt er mit seiner Zeche auch die ihre und verlässt dann freundlich grüßend die Wagner’sche Schankwirtschaft. Und später erst beginnen die beiden Studenten sich zu wundern: Dieser Reisende hatte doch in einem hebräischen Psalter gelesen, als sie sich zu ihm setzten. Das war doch zu merkwürdig! Dass sie mit Martin Luther geredet hatten, wird ihnen zum Glück erst klar, als der schon sicher außer Reichweite ist.

Martin Luther ist auf dem Weg nach Wittenberg. Inkognito. Dass diese Reise für ihn eine Gefahr für Leib und Leben bedeutet, hat ihn nicht auf der Wartburg zurückgehalten. Aber nach seinem Auftritt vor dem Reichstag in Worms wundert uns in dieser Hinsicht gar nichts mehr. Noch zwei Tage zuvor, am 1. Dezember 1521, hatte Luther an seinen Intimfeind, den Kardinal und Kurfürst von Mainz Albrecht von Brandenburg, geschrieben: „Eure Kurfürstliche Gnaden denken nur nicht, dass Luther tot sei. Er wird auf den Gott, der (bereits) den Papst gedemütigt hat, so frei und fröhlich pochen (also auf Gottes Hilfe vertrauen) und ein Spiel mit dem Cardinal von Mainz anfahren, des sich nicht viel versehen.“

Was treibt Luther zu dieser riskanten Reise? Sicher die Sorge um die Entwicklungen in Wittenberg. Aber auch die Einsamkeit auf der Wartburg und die Sehnsucht nach Austausch mit den Freunden. Und so hält sich Martin Luther im Dezember 1521 für einige Tage in Wittenberg auf. Er wohnt bei seinem Freund Nikolaus von Amsdorf. Dort trifft sich heimlich, still und leise der innere Kreis der Reformatoren – und dort in der Wohnung von Amsdorfs entsteht das Porträt vom „Junker Jörg“, gemalt von Lucas Cranach. 

Philipp Melanchton gehört zu den Freunden, die zu den Treffen bei Nikolaus von Amsdorf kommen. Und gemeinsam gerät man in’s Schwärmen: `Hast Du schon das griechische Neue Testament gesehen, das Erasmus von Rotterdam herausgegeben hat?!´ – `Ja, das hat mir Nikolaus Gerbel aus Straßburg auf die Wartburg geschickt – und ich sage Dir, damit hat er mir wahrhaft eine Braut zugeführt!´  

`Wäre es nicht an der Zeit, nun endlich auch eine deutsche Bibelausgabe heraus zu bringen?´ – so dringt Melanchthon. Und bei aller Schwärmerei bleibt Luther zunächst nachdenklich: `Wie stellst du dir das vor, Philipp? Was ich hier für die Leute in Wittenberg übersetze, das versteht in Magdeburg kein Mensch! Oder in Erfurt! Oder in Worms! Von Hamburg ganz zu schweigen! Im Grunde bräuchte jede Stadt ihren Übersetzer, damit die Bibel in jeden Mund, Hand, Augen, Ohren und Herzen komme.´

Nein, leicht hat sich Luther diese Übersetzungsaufgabe nicht vorgestellt. Aber als er ein paar Tage später wieder auf der Wartburg ist, lässt ihn der Gedanke nicht mehr los: Eine deutsche Bibel für alle! Und so schlägt er die Ausgabe des griechischen Neue Testaments auf, die ihm der Straßburger Humanist Nikolaus Gerbel im Mai 1521 geschenkt hatte. Er nimmt die Feder zur Hand. Er übersetzt die ersten Worte. Und er verfällt in einen Schaffensrausch, aus dem er erst 11 Wochen später wieder auftauchen wird. Da schließt er mit der letzten Zeile sein Manuskript „Das Newe Testament Deutzsch“ ab. Und dann hält ihn nichts mehr auf der Wartburg. Dann kehrt er endgültig nach Wittenberg zurück! (Aber das ist eine Geschichte, auf die wir im März 2022 zurück kommen, wenn wir uns fragen: Was treibt Luther im März 1522?)  

Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi

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