Im März 1521 entscheidet sich Luther, zum Reichstag nach Worms zu reisen
Wann soll man eigentlich Reformationstag feiern? Am 31. Oktober? Martin Luther hätte wohl die Achseln gezuckt. Der Tag hatte sich ihm nicht als etwas Besonderes eingeprägt. Thesen am schwarzen Brett der Wittenberger Universität (als das diente die Tür der Schlosskirche zu seiner Zeit) anzuschlagen, das war eine Routinesache. Nichts, was er als irgendwie „historisch“ angesehen hätte, auch später aus der Perspektive des alten Mannes nicht.
Könnte man Luther nach einem angemessenen Gedenktag der Reformation fragen, dann würde er vielleicht auf den April 1521 verweisen: seine beiden Anhörungen vor dem Reichstag zu Worms. Davon wird in der nächsten Postille die Rede sein. Jetzt, im Rückblick auf den März 1521 ist es an der Zeit, an einen Freund Luthers zu erinnern, ohne den es nicht zu den Auftritten in Worms gekommen wäre: Georg Spalatin.
Aufmerksam und zurückhaltend blickt er uns von einem Gemälde an, das Lucas Cranach 1509 gemalt hat. Da war Spalatin Prinzenerzieher am kurfürstlichen Hof Friedrich des Weisen. Nach und nach rückt Spalatin auf zum Berater des Kurfürsten – der legt Wert auf Geradlinigkeit und Kompetenz und genau die zeichnen Georg Spalatin aus. Er ist kein Höfling und kein Ränkeschmied, aber ein genau beobachtender und sich sorgfältig bedenkender Mann. Ein Diplomat.
Ab Mitte Januar 1521 ist Kurfürst Friedrich in Worms auf dem Reichstag, und mit ihm sein Berater Spalatin. Zurückhaltend in seinem Auftreten, aber mit einem sicheren Gespür für das Mögliche, wird Spalatin zum Verhandlungsführer für die Anhörung Luthers – dass es dabei um Luthers Kopf und Kragen geht, ist ihm bewußt.
Friedrich der Weise hatte immer wieder auf eine öffentliche Anhörung Luthers gedrängt. Kaiser Karl hätte die Sache lieber auf geheimdiplomatischem Weg ausgeräumt. In langen Verhandlungsstunden mit Spalatin setzt sich in Karl Beraterstab die Einsicht durch, dass man die eigenen politischen Ziel gefährde, wenn man sich der Forderung Friedrich des Weisen weiterhin verweigert. Und so fertigt Kaiser Karl am 6. März 1521 das Schreiben aus, mit dem er Luther zu einer Anhörung auf dem Reichstag vorlädt. Am 15. März 1521 bricht der Reichsherold Kaspar Sturm mit diesem Schreiben von Worms aus auf, um Martin Luther in Wittenberg abzuholen.
Natürlich weiß Luther Bescheid, Spalatin schreibt ihm oft (nur leider ist uns keiner seiner Briefe an Luther überliefert: während Spalatin die Briefe Luthers sorgfältig katalogisiert und mit Verweisen versieht, geht Luther ausgesprochen achtlos mit seinen Briefschaften um. So ist uns nur die eine Seite dieser bedeutenden Korrespondenz zugänglich).
Am 19. März nun schreibt Luther an Spalatin: `Mach Dir keine Sorgen, ich werde nichts von dem widerrufen, was ich geschrieben habe, und an die Reichstagsregeln werd ich mich schon halten´ (offenbar hatte Spalatin, der den poltrigen Luther ja kannte, ein paar Hinweise zur den Umgangsformen in Anwesenheit des Kaisers geschrieben). Auch für Luther ist klar, dass es hier um seinen Kopf und seinen Kragen geht: „Wenn er {d.h. Kaiser Karl} mich übrigens nächstens zum Töten laden will …, dann biete ich mein Kommen an.“ Das klingt im Deutschen so ein bisschen dummstolz – eindrücklich dagegen ist die Formulierung im lateinischen Original des Briefes: Dort steht für „dann biete ich mein Kommen an“: „offeram me venturum“. Luther kann davon ausgehen, dass sein sprachbegabter Freund Spalatin die feine Anspielung versteht: „offerre“ steht im Lateinischen auch für „opfern“. Luther sieht sich bereits in der Rolle eines Märtyers und es ist wichtig, sich das bewußt zu halten, wenn wir in der nächsten Postille dann seine Rede auf dem Reichstag lesen werden.
Der Reichsherold Kaspar Sturm kommt am 29. März 1521 in Wittenberg an und übergibt die Vorladung Kaiser Karls an Luther. Ausgesprochen konziliant wird Luther darin befohlen, in Worms zu erscheinen: „Der Lehren und Bücher halber, die vor einiger Zeit von dir erschienen sind, um darüber eine Auskunft von dir zu erlangen.“ Von einem geforderten Widerspruch steht in der Vorladung nichts. Luther wird es mit einem grundzufriedenen Gefühl vermerkt haben. Und so schlampig Luther sonst mit seinen Briefen umzugehen pflegte: diesen Brief hob er auf und bestimmte, dass er in seiner Familie weitervererbt werden solle. Diesen Augenblick hat er als einen historischen Moment empfunden!
Ach ja, und übrigens erschien im März 1521 auch noch die erste Ausgabe der Postille – einer Sammlung von Musterpredigten für alle Sonntage des Kirchenjahres. Also: Happy birthday, Postille!