Reformation 2021-07-29

Die Flitterwochen der Reformation

von Hans–Christian Beutel

Am 1. August 1521 schreibt Martin Luther einen langen Brief an seinen Freund und Mitarbeiter Philipp Melanchthon. Um das Abendmahl geht es darin und um die Keuschheitsgelübde der Priester und Nonnen. Am Ende dieses Briefes (und natürlich schreiben die beiden einander auf Latein) steht ein beeindruckender Satz: „Pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi!“ – „Sündige tapfer, aber tapferer noch sei dein Glaube und deine Freude in Christus, der Sünde, Tod und Welt überwunden hat.“

„Sündige tapfer!“ – als Abschluss eines Briefes, in dem es darum geht, ob Mönche und Nonnen nun heiraten dürfen! Daraus lässt sich ein Schenkelklopfer für die nächste Runde am Stammtisch machen! 

Aber es ist mehr dran, an diesem Satz Luthers, und es wäre schade drum, ihn so ins Schale zu ziehen. Im Grunde ist es ein ganz warmherziger und seelsorgerlicher Rat. Luther weiß, in welch einer schwierigen Situation er Melanchthon gelassen hat: In diesen Monaten nimmt die Reformation unaufhaltsam an Fahrt auf und Luther hat Melanchthon das Steuerrat in die Hand gedrückt. Der ist aber mit der Dynamik völlig überfordert. Und diese Dynamik entfaltete sich auch an der Frage, ob Mönche und Nonnen heiraten dürfen:

Im Mai 1521 heirateten die ersten Priester: Bartholomäus Bernhardi, Heinrich Fuchs, Jakob Seidler. Sie hatten Luthers Kritik des Zölibats gelesen und zogen ihre Konsequenzen. Luther ist erstaunt und verhalten begeistert. Er hat Hochachtung vor dem Mut der drei Priester (Bernhardi ist ein Schüler Luthers), aber er befürchtet, dass das für sie Konsequenzen haben könnte. Und tatsächlich: Bartholomäus Bernhardi wird vor das bischöfliche Gericht geladen, Jakob Seidler gefangen genommen und inhaftiert.  

Aber das schreckt offensichtlich nicht ab: Mönche verlassen ihre Klöster und wechseln in bürgerliche Berufe – Nonnen planen ihre Klöster zu verlassen, haben es aber ungleich schwerer, weil ihnen keine bürgerlichen Berufe offen stehen. 

Der ganze Sommer 1521 ist für Luther von der Frage bestimmt, ob jemand, der oder die ein Keuschheitsgelübde abgelegt hat, heiraten dürfe. Und Luther macht sich diese Frage nicht leicht. Sein Kollege Karstadt ist da weniger skrupulös: in atemberaubender Oberflächlichkeit veröffentlicht der Stellungnahmen, die Luther in ihrem Verve zwar beeindrucken, um deren flache Argumentation er sich aber Sorgen macht.

Letztlich kommt es für Luther darauf an, aus welchen Gründen jemand das Keuschheitsgelübde abgelegt hat. Wenn jemand meinte, damit ein verdienstliches Werk zu tun und Gottes Zuwendung zu verdienen (das war ja praktisch der „Werbeslogan“ fürs Klosterleben), dann ist sie oder er damit auf dem Holzweg und somit nicht mehr an dieses Gelübde gebunden. Hat jemand aber frei und überlegt dieses Gelübde geleistet, um sich einem geistlichen Dienst ganz widmen zu können, dann ist er oder sie an dieses Gelübde weiterhin gebunden. 

Immer wieder treffen in diesen Wochen Hochzeitskarten auf der Wartburg ein. In vielen Fällen freut Luther sich herzlich mit und gratuliert. Das sind schon so die Flitterwochen der Reformation, in denen Martin Luther Menschen frei werden sieht von einem geknechteten Gewissen – frei für ein gemeinsames Leben von Frau und Mann in der Welt und für die Welt, statt im frommen Rückzug von der Welt. 

Und deshalb schreibt er an den sorgenbedrückten Philipp Melanchthon: „Sündige tapfer!“ Ein Mensch, der zu sündigen wagt, setzt seine ganze Hoffnung auf Christus – und zwar ausschließlich auf Christus und nicht auf die eigenen Anstrengungen zum Guten.  

Luther ist sich selbst damit um einige Jahre voraus: am 15. August 1521 schreibt er noch an Georg Spalatin, dass die Ehe wohl für andere, nicht aber für ihn etwas sei. Er werde doch bei seinem Gelübde bleiben, dass er ja gut überlegt und aus freiem Entschluss geleistet habe. Vier Jahre wird es brauchen, bis Luther schließlich am 13. Juni 1525 die Ehe eingeht mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora. Und ihre Ehe wird zum Model, an dem bis heute das Leben im evangelischen Pfarrhaus seinen Maßstab hat.

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