Jahreslosung 2023 – Genesis 16,13 (L)
Hagar hat sich verrannt.
Sackgasse, ausweglos.
In ihr wächst ein Kind.
Sein Vater ist verheiratet.
Mit der Vorgesetzten von Hagar!
Die Kündigung war alternativlos – ohne selbst eine Alternative zu sein.
Sackgasse!
Hagar hat sich verrannt!
Sarai, ihre Vorgesetzte, hatte von Anfang an davon gewusst.
Ja, eigentlich hatte sie das Ganze in’s Rollen gebracht:
An eine Leihmutterschaft war gedacht (Sarai schien unfruchtbar zu sein).
Aber dann war alles aus dem Ruder gelaufen.
Die drei hatten sich so verhakt ineinander, dass nichts mehr ging:
Nicht vor und zurück schon gar nicht.
„In die Wüste geschickt …“ – so sagt man wohl.
Hagar ist die Abhängige in diesem Dreieck –
die ohne Optionen.
Und schwanger!
In der Wüste!
„Hagar, du Magd Sarais, wo kommst du her und wo gehst du hin?“
Welch ein Engel, der diese Frage stellt!
Einer, der nicht das FaceBook-Profil liest
oder der Instagram-Story folgt,
einer, der sich von LinkedIn nichts vormachen lässt.
Welch ein Engel, der nach Hagar fragt und nicht nach der Rolle, die sie spielt!
„Wie geht es Dir, Hagar?“
„Was ist Dir geschehen?“
„Was wirst Du tun?“
„Was kann Dir gut tun?“
Welch ein Engel!
Hagar redet. Und allein das schon tut gut.
Hagar redet und findet dabei zu sich selbst zurück.
Hagar redet – und ihr Reden wird Gebet:
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Sagt sie.
Glaubt sie.
Glaube ich, wenn ich bete.
Vielleicht so:
Du, Gott, siehst hinter die Bilder,
die ich mir von mir selber mache.
Du kennst mich, wie mich sonst keiner kennt.
Wie es mir zumute ist, das weißt Du.
Du verstehst mich bis in meine innersten Beweggründe hinein.
Was ich sonst keinem zeige, das ist vor Dir offenbar.
Und ehe ich etwas zu erklären und ins rechte Licht zu stellen versuche,
weißt Du schon, was wirklich mein Anliegen ist.
Wüsste ich nicht, dass Du mich liebst,
so fühlte ich mich bloßgestellt
und Dein Blick auf den Grund meines Herzens
würde mich ängstigen.
Du aber brichst keinen Stab über mir,
sondern Du birgst mich in Deiner schützenden Hand.
Dass Du mich so angenommen hast, wie ich nun eben bin,
das ist mir ein Geheimnis
und je tiefer ich diesem Geheimnis nachspüre,
um so wunderbarer wird es mir.
Ich will nicht versuchen, mich Dir zu entziehen;
Dein Angesicht zu meiden, wie es mir meine Scham manchmal nahe legt.
Vor Menschen kann ich mein Herz verbergen.
Du aber hältst mit meinem Herzen Schritt –
ob ich nun himmelhoch jauchze
oder betrübt bin bis hin zu den Gedanken,
die mir den Tod als einen Freund erscheinen lassen.
Ob ich dorthin fliege, wo sich die Sonne im Morgenrot erhebt,
oder ob ich an das äußerste Ende der Erde flüchtete,
wo die Sonne im Meer versinkt –
Du würdest mich finden und Deine Rechte führte mich doch.
Wenn ich mir wünschte, der Erdboden möge mich den Blicken derer entziehen,
denen ich nicht mehr in die Augen zu blicken vermag
und die Finsternis wäre mir angenehmer als das Licht des hellen Tages,
so würdest Du mich doch nicht aus dem Blick verlieren
und mich in die Klarheit Deines Lichtes stellen.
Denn Du hast mich wachsen lassen, als ich noch
wie ein Bohnenkeimling im Leib meiner Mutter lag.
Du hast mich gebildet nach einem Plan und nach einem Urbild,
das Dir allein zugänglich war.
Nicht als simple Kopie,
sondern als ein unbegreiflich einzigartiges und wundervolles Wesen
hast Du mich geschaffen:
als im Leib meiner Mutter sich die Windungen ausformten,
die später meine Fingerabdrücke ergaben,
da warst Du gegenwärtig.
Als dort im Verborgenen der Grund gelegt wurde für den sperrigen Charakter,
der ich heute nun einmal bin,
da war Dir das ganz gewiss nicht verborgen.
Du hast mich gesehen, als ich gerade erst wurde
und das Buch meines Lebens lag aufgeschlagen vor Dir.
Was hast Du Dir gedacht, als Du mich so hast werden lassen?
Ich grüble darüber nach,
aber immer wenn ich meine, ich hätte einen Deiner Gedanken erfasst,
dann verliert er sich wie ein Sandkorn, das ich am Strand durch meine Finger laufen lasse.
Zu viele Sandkörner wären nötig, um daraus das Mosaik meines Lebens zu formen.
Was immer ich auch versuche, um diesem Mosaik auf die Spur zu kommen –
am Ende muss ich es mir doch an der Gewissheit genügen lassen,
dass ich bei Dir gut aufgehoben bin.
(nach Psalm 139)
Kontakt: Hans-Christian Beutel, Mail: hans-christian.beutel@evl.fi