Erinnern wir uns: Am 10. Dezember 1520 hatte Luther vor dem Elstertor in Wittenberg die Bannandrohungsbulle des Papstes verbrannt. Die Antwort aus Rom ließ nicht lange auf sich warten: Am 3. Januar 1521 wird Luther durch die Bulle Decet Romanum Pontificem kirchenrechtlich definitiv zum Ketzer erklärt und gebannt.
Damit gibt es zwischen Luther und dem Papst nichts mehr zu klären.
Aber nun wird die Reformationsgeschichte erst richtig spannend! Denn im Januar 1521 kommt die Auseinandersetzung um Luthers Reformanliegen auf ein neues Gleis: Das große Gegenüber zu Luther ist nun nicht mehr das moralisch diskreditierte Papsttum, sondern der neu gewählte Kaiser Karl V – gerade 19 Jahre alt und anders als der Papst in seiner Aufrichtigkeit durch und durch ernst zu nehmen.
Am 23. Oktober 1520 war Karl V im Dom zu Aachen als neuer König gekrönt worden. Martin Luther schreibt:
„Gott hat uns ein junges, edles Blut zum Haupt gegeben und damit viel Herzen zu großer guter Hoffnung erweckt.“
Und tatsächlich: die Hoffnung auf dieses junge, edle Blut war nicht unbegründet: Aufgewachsen in den Niederlanden und erzogen im Geist der „devotio moderna“, einer Glaubenshaltung inniger persönlicher Frömmigkeit, war Karl V das Reformanliegen Luthers durchaus zugänglich. Und Luther selbst war ja seit seiner Schülerzeit in Magdeburg von eben dieser „devotio moderna“ geprägt worden: Hier war eine gemeinsame Verständigungsebene vorhanden, auf der sich die beiden begegnen konnten. Im Januar 1520 standen die Chancen gut, dass die Reformation in das Fahrwasser des Renaissance-Humanismus einmünden könnte und es ist eine reizvolle Vorstellung, sich den weiteren Weg der Reformation unter diesem Vorzeichen zu denken. Wir werden übers Jahr darauf zurückkommen, wenn wir im Januar 2022 an eine denkwürdige Papstwahl erinnern: Im Januar 1522 wird Adrian von Utrecht zum Papst gewählt (Hadrian VI). Dieser große Renaissancegelehrte war der Lehrer Karls V. gewesen und hatte sich für eine positive Aufnahme des Reformationsanliegens Luthers eingesetzt. Welch eine Chance!
Zunächst aber beruft Karl V. den Reichstag nach Worms ein. Am 27. Januar 1521 eröffnet er die über mehrere Monate sich erstreckende Sitzungsperiode. Dort wird Luther auftreten – im April hören wir mehr davon.
Für Martin Luther ist der Januar 1521 eine Zeit der inneren Klärung. Er stellt sich auf den Reichstag ein und überdenkt seine Optionen. Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen, zwei Reichsritter, hatten ihm ihre Unterstützung angeboten. Zum ersten Mal zeichnet sich hier für Luther die Möglichkeit ab, dass es über die „Sache der Reformation“ zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommen könnte. Am 16. Januar schreibt Luther darüber in einem Brief an Georg Spalatin:
„Was Hutten wünscht, siehst Du. Ich will nicht, dass mit Gewalt und Töten für das Evangelium gestritten wird, so habe ich an ihn geschrieben. Durch das Wort ist die Welt überwunden, ist die Kirche bewahrt worden, durch das Wort wird sie auch wieder gestärkt werden.“
Auch darauf werden wir zurückkommen, wenn das Verhältnis Luthers zu Thomas Müntzer und der Täuferbewegung unser Thema im Rückblick auf 500 Jahre Reformation sein wird.