Uncategorised 2023-04-16

Ein Film über Dietrich Bonhoeffer – am Donnerstag, dem 27.4. um 19 Uhr im Gemeindesaal

von Hans–Christian Beutel

Wie kann sich ein Pazifist an einem Attentat gegen einen Diktator beteiligen? Schließt Pazifismus nicht die Anwendung von Gewalt prinzipiell aus? 

Feinfühlig zeichnet der Film „Agent of Grace“ den Weg Dietrich Bonhoeffers in den Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror nach. Mit den Stilmitteln eines biographischen Spielfilms werden die letzten sechs Lebensjahre des Theologen darstellt – seine Entwicklung vom Pazifisten zum mitverantwortlichen Teilnehmer an dem Attentatsversuch auf Adolf Hitler. Die Handlung folgt dabei nicht strikt der Biographie Bonhoeffers – Szenen aus früheren Jahren werden in die Filmhandlung synchron einbezogen. Auf diese Weise wird nachvollziehbar geschildert wie Bonhoeffer sich von einer Prinzipienethik hin zu einer Verantwortungsethik entwickelt: Angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen wird der, der wegschaut, genauso schuldig wie der, der sich aktiv am Widerstand beteiligt.   

(„Bonhoeffer – Agent of Grace“, Regie: Eric Till, 2000, 90 Minuten. Wir sehen uns den Film in der deutschen Synchronisation an). 

Die Handlung des Filmes

Im Frühsommer 1939 gerät Dietrich Bonhoeffer immer stärker in das Visier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo): Seine Arbeit in den Predigerseminaren der Bekennenden Kirche bewegt sich am Rande der Illegalität. Seine unerschrockenen Stellungnahmen zur Rassenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands haben ihn in akute Gefahr gebracht. Da bietet sich ein Ausweg für ihn: Bonhoeffer wird für ein Jahr als Gastdozent in die USA eingeladen. Dort, am Union Theological Seminary in New York, kann er in Sicherheit leben und arbeiten. Am 2. Juni 1939 fliegt er nach England um von dort aus mit dem Schiff in die USA auszureisen. 

Hier setzt der Film von Eric Till ein:

Dietrich Bonhoeffer ist in Sicherheit. Aber immer klarer wird für ihn, dass sein Platz jetzt nicht hier in den USA ist. Sein Platz ist in Deutschland ­­­- der Kampf der Bekennenden Kirche gegen die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes ist sein Auftrag. Und so entschließt Dietrich Bonhoeffer sich zur Rückkehr. Er bricht seine Gastprofessur in New York ab. Am 13. Juli 1939 kehrt er zurück. Am 14. März 1940 wird sein Reisepass ungültig. Der Ausweg ins Ausland ist ihm nun versperrt.

In zwei Handlungssträngen zeichnet der Film die dramatischen Lebensjahre Dietrich Bonhoeffers (gespielt von Ulrich Tukur) von 1939 bis 1945 nach.

Der eine Strang: Durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi (gespielt von Ulrich Noethen) wird Bonhoeffer in den politischen Widerstand gegen Adolf Hitler eingeführt. Dietrich Bonhoeffer entscheidet sich als Christ und Pazifist für die Teilnahme an dem Versuch, das Nationalsozialistische Regime durch einen Anschlag auf Adolf Hitler zu beenden.

Der andere Strang: Dietrich Bonhoeffer begegnet Maria von Wedemeyer (gespielt von Johanna Klante). Bonhoeffer, der bisher bewusst keine Beziehung eingegangen war, um für seinen Einsatz in der Bekennenden Kirche frei zu sein, verliebt sich in Maria – und sie sich in ihn. Kurz von ihrer geplanten Verlobung jedoch wird Dietrich Bonhoeffer verhaftet. Die Beziehung zwischen beiden ist auf Briefe reduziert.

Zunächst geht Bonhoeffer noch davon aus, aus der Untersuchungshaft frei zu kommen. Als die Gestapo aber Material findet, das seine Teilnahme an den Attentatsvorbereitungen belegt, wird für Bonhoeffer klar, dass sein Prozess mit einem Todesurteil enden kann, ja enden wird. Eine Fluchtmöglichkeit schlägt er aus, ebenso wie das Angebot der Gestapo, durch Kooperation sein Leben zu retten. Verantwortung für sein Handeln im Widerstand zu übernehmen heißt für Bonhoeffer eben auch, die Konsequenz des Todesurteils zu tragen – für ihn ist das „die letzte Stufe auf dem Weg zur Freiheit.“

Weshalb mir dieser Film wichtig ist

Spoilerwarnung: Ich schildere im Folgenden die für mich beeindruckendste Szene des Filmes – wer den Film „unspoiled“ sehen möchte, kann diesen Teil ja später lesen:  

Gegen Ende des Filmes werden Dietrich Bonhoeffer und seine Mitgefangenen mit einem Lastwagen aus dem KZ Buchenwald in’s Hinrichtungslager Flossenbürg gebracht. Der Motor des Lastwagens geht kaputt, die Gefangenen werden in einem kleinen Dorf untergebracht. Es ist Sonntag – die Mitgefangenen fordern Bonhoeffer auf, für sie einen Gottesdienst zu halten. Im tatsächlichen Leben Bonhoeffers hat dieser Gottesdienst in einer Schule stattgefunden, – der Film verlegt die Szene in eine verwüstete Kirche:

All das, was einmal zu Andacht und Gottesdienst diente, liegt wüst zerstreut auf dem Boden im Kirchenschiff: fromme Bilder, heilige Bücher, Altardecken und Vortrage-Kreuze – all das ist in den Schmutz getreten – auch im übertragenen Sinn. 

Die Worte, die Bonhoeffer im Film als Predigt spricht, stammen aus einem Brief, den er an sein Patenkind geschrieben hat. Sie werden für den Film so etwas wie das Vermächtnis.* Und während der Bonhoeffer im Film spricht, hebt er aus all dem, was da herumliegt, ein Kruzifix auf und legt es zurück auf den Altar. Nur das Kruzifix – keine Restauration der verwüsteten Kirche wird da in den Blick genommen: was in den Schmutz getreten wurde, wird sich vielleicht nie wieder herstellen lassen. Aber das Kruzifix bleibt bedeutungsvoll für Bonhoeffer: Auf diesem Zeichen für das Leiden und den Tod Jesu wird das Neue, das Bonhoeffer ankündigt, sich gründen. So schreibt Bonhoeffer an sein Patenkind:

„Du wirst heute zum Christen getauft. Alle die alten großen Worte der christlichen Verkündigung werden über Dir ausgesprochen und der Taufbefehl Jesu Christi wird an Dir vollzogen, ohne dass Du etwas davon begreifst. Aber auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Umwälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können. Das ist unsere eigene Schuld. Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein. Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.  Bis Du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben.  Die Umschmelzung ist noch nicht zu Ende, und jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen -, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert.“ 

Das Kreuz, das Bonhoeffer aus dem Staub aufgehoben und auf den Altar gelegt hat, liegt nun dort als Zeichen dafür, dass hier wieder eine Gemeinde feiern wird – in echter Gemeinschaft feiern wird – wenn sie sich am Gekreuzigten Christus orientiert und aus seiner Kraft zu leben lernt. 

Bonhoeffers Kritik ist, dass Kirche, dass Gemeinde sich als Selbstzweck sieht. Deshalb ist sie unfähig, „Träger des erlösenden Wortes zu sein.“ Bonhoeffer ist überzeugt: das Wort selbst hat seine Kraft nicht verloren. Aber es gibt niemanden, der es überzeugend und mit voller Berechtigung aussprechen kann. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit – nicht des Wortes, sondern des Sprechenden.

Das heißt: wir sind mit unserer Gemeinde in einer Verantwortung, mit unserem Leben glaubwürdige Zeugen zu sein. Glaubwürdigkeit gewinnen wir nicht in der Beschäftigung mit uns selbst, sondern in der Orientierung an unserem gekreuzigten Herrn. Egal was wir uns so einfallen lassen, um ihn für unsere Zeitgenossen relevant erscheinen zu lassen: Der Gekreuzigte ist der Gekreuzigte. Der Gescheiterte – in dessen Scheitern Gott einen neuen Weg für uns Menschen öffnet. 

Bonhoeffer sagt: durch Beten und Tun des Gerechten kommt Erneuerung. Das kann durch vorzeitige organisatorische Bemühungen verzögert werden. Nicht: der Laden muss irgendwie laufen. Nicht: wir sind von uns selber so begeistert. Nicht: mit welcher Strategie sichern wir das volkskirchliche Überleben. Sondern: Gemeinde muss glaubwürdig für Christus sprechen. Wir werden das nur tun, wenn wir von dem Gekreuzigten sprechen. Nicht in Strukturen, sondern in der Wahrhaftigkeit der Inhalte liegt die Zukunft unserer Gemeinde.

Letztlich klingt in Bonhoeffers Brief aber ganz viel Zuversicht und Gewissheit auf: Der Tag wird kommen! 

„Der Tag wird kommen -, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert.“

Das ist die Sprache der Propheten.

Nicht: „Wann kommt der Tag?“ ist unsere Frage.

Sondern, „Was gibt uns der Tag heute auf?“

Licht fällt von diesem zukünftigen Tag auf den heutigen Tag.

Wir können Schritte auf diesen Tag zugehen, aber ihn nicht heranzwingen, nicht „machen“.

Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi

* Die Predigt, die Ulrich Tukur als Bonhoeffer im Film hält, gibt die Gedanken Bonhoeffers stark komprimiert wieder: „Mich bewegt unablässig die Frage, was Christus uns für die Zukunft zu sagen hat. Wir brauchen ein erneuertes Christentum, denn unsere Welt ist mündig geworden. In einer modernen Welt muss Religion vor allem ein Ziel haben. Wir müssen unsere Not und unser Leid teilen und damit auch das Leiden Gottes in einer gottlosen Welt. Wir brauchen vielmehr als eine Religion der frommen Worte, wir brauchen Glauben und in seinem Zentrum Jesus Christus. Wahres Christentum heißt, teile des anderen Schmerz. Wir können den Tag nicht voraussagen, an dem berufene Menschen das Wort Gottes wieder so aussprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Aber wenn dieser Tag kommt, wird es eine neue Sprache sein. Vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und wirklich erlösend. So wie die Sprache Jesu. Sie wird die Menschen entsetzen, entsetzen durch ihre Gewalt. Diese Sprache einer neuen Wahrheit verkündigt den Frieden Gottes mit dem Menschen.“

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