Uncategorised 2022-04-30

„Es wird (so Gott will) ein würdiges Werk“

von Hans–Christian Beutel

Luthers Übersetzung des Neuen Testaments geht im Mai 1522 in den Druck

Auf der Wartburg hatte Luther in beeindruckend kurzer Zeit das gesamte Neue Testament aus dem Griechischen Urtext in’s Deutsche übersetzt. Nun wieder in Wittenberg geht diese Übersetzung in den Druck. 

Am 30. März hatte Luther an den Sekretär des Kurfürsten, Georg Spalatin geschrieben: „In meinem Patmos hatte ich nicht nur das Johannesevangelium, sondern auch das ganze Neue Testament übersetzt. Jetzt aber haben Philipp [Melanchton] und ich begonnen, das alles auszufeilen. Es wird (wenn Gott will) ein würdiges Werk. Bisweilen werden wir auch Deine Hilfe benötigen, damit wir die passenden Wörter einsetzen. Daher halte Dich bereit, aber so, daß Du einfache und nicht am Hof oder in der Umgebung der Fürsten gebräuchliche [Wörter] beisteuerst. Denn dieses Buch will sich durch Einfachheit auszeichnen.“

Luther ist ein Wörtersammler in dieser Zeit. Klar ist für ihn: Orientierung an der Sprache einfacher Menschen, nicht an der Hofsprache! Und so sammelt Luther tatsächlich Wörter: Er fragt Kinder auf der Gasse, wie sie die Spiele nennen, die sie gerade spielen. Er fragt die Mutter im Haus, wie die Gerätschaften und Kräuter in der Küche genannt werden oder welche Verben es für die Verrichtungen in Haus und Garten gibt. Luther geht auf den Markt und fragt die Händler dort nach Münzen und Maßen. Luther schaut dem Schlachter zu und bittet ihn, die Teile des Tieres genau zu benennen, das er da schlachtet. Für Luther sind die einfachen Menschen Sprachexperten. Später wird er seine Übersetzungsmethode einmal so beschreiben:

„Man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, sondern man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann auf dem Markt danach fragen und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“    

Den kurfürstlichen Sekretär Georg Spalatin bittet er in dem Brief vom 30. März um das, was er natürlich nicht bei der Mutter im Haus oder dem Mann auf dem Markt finden kann: „… sieh zu, dass Du die Namen und Farben der Edelsteine von Offenbarung 21 beschaffst. Wäre uns doch die eigene Anschauung möglich vom Hof oder woher Du [sonst welche beschaffen] kannst!“

Ab dem 5. Mai 1522 ging das Manuskript in Druck. Am 10. Mai 1522 lagen die ersten Probedrucke vom Anfang des Matthäusevangeliums vor. Und im September 1522 wurde das „würdige Werk“ ausgeliefert. Daher hat es den Namen „Septembertestament“ erhalten. Und es ist ein sprachgeschichtliches Dokument erster Klasse. 

Das werden wir uns im September dann genauer anschauen. Zur Zeit bereite ich einen Abend zu Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes vor, der ab Mitte August für die Finnisch-Deutschen Vereine und Gemeindegruppen im Land buchbar ist. 

Eine spannende Frage an diesem Abend wird sein:

„Wenn Luthers Übersetzung so starken Einfluss auf die Entwicklung einer in ganz Deutschland verständlichen Allgemeinsprache hatte – wie kommt es, dass dieser Einfluss auch die katholischen Gebiete erreichte, in denen Luthers Übersetzung nicht vertrieben werden durfte?“ 

Auf diese Frage gibt es eine Antwort, die so voll geschichtlicher Ironie und Situationskomik steckt, dass ich mich heute schon darauf freue, davon zu erzählen.

Buchungsanfragen bitte an Hans-Christian Beutel, hans-christian.beutel@evl.fi

Leave a comment

*

*