Uncategorised 2022-06-25

… in vier Tagen manchmal kaum drei Zeilen

von Hans–Christian Beutel

Luthers Übersetzung des Alten Testamentes

Im Sommer 1522 ächzen in Wittenberg die Druckerpressen. Die Buchbinder haben alle Hände voll zu tun. Und die Verleger reiben sich dieselben: Rechtzeitig zur Leipziger Herbstmesse wird Das Newe Testament Deutzsch auf dem Markt sein. Und es verspricht satten Gewinn!

Martin Luther kümmert sich um diese Seite seiner Bibelübersetzung nicht – er ist in kommerziellen Dingen nicht ganz ahnungslos, aber ziemlich desinteressiert. Ob andere damit ihren Reibach machen oder nicht – Hauptsache, die Bibel kommt unters Volk. Und zwar die ganze Bibel.

Bisher ist es ja nur das neue Testament, das da im Druck erscheint. Und kaum dass die letzten Seiten davon unter der Druckerpresse sind, beginnt Luther mit der Übersetzung des Alten Testamentes.

Nur elf Wochen hatte er für die Übersetzung der Schriften des Neuen Testamentes gebraucht. Die Übersetzung des Alten Testamentes wird ihn die nächsten zwölf Jahre (!) in Anspruch nehmen. Und das, obwohl er tatkräftige und kenntnisreiche Mitarbeiter hat. Denn von Anfang an – vom Sommer 1522 an – ist die Übersetzung der alttestamentlichen Schriften Teamarbeit. Von einem Menschen allein ist sie nicht zu bewältigen. Das ist Luther klar.

Martin Luther hat schon früh in seiner Erfurter Klosterzeit angefangen, Hebräisch zu lernen. Diese Sprache faszinierte ihn. Nun war das nicht einfach so, dass ein interessierter Student sich für einen Grundkurs Hebräisch einschreiben konnte. 1506 – das ist die Zeit, in der Luthers Interesse an der hebräischen Sprache wach wurde – erscheint gerade mal das ersten hebräische Lehrbuch von Johannes Reuchlin: Luther ist ein „early adopter“. 1510 schickt ihn sein Orden auf eine Reise nach Rom – Luther nutzt die Gelegenheit und nimmt Unterricht bei einem gelehrten Juden. 1516 erhält Luther von seinem Freund und Ordensbruder Johannes Lang eine hebräische Ausgabe der Psalmen. Welch ein Geschenk!

Dass es in Deutschland so schwer ist, hebräisch zu lernen, liegt an der antijüdischen Stimmung in vielen Reichsteilen. Juden, bei denen man lernen könnte, befinden sich gerade auf der Flucht. Die bedeutenden jüdischen Druckereien, die z.B. in Mainz entstanden waren, wandern ab nach Norditalien. Dieser brain drain und ein kirchlicherseits geförderter Antijudaismus machen es den Humanisten schwer, Hebraistik als Wissenschaft zu etablieren. Die Universität Wittenberg richtete 1518 einen Lehrstuhl für hebräische Sprache ein – und war damit ausgesprochen progressiv. 

Der Inhaber dieses Lehrstuhls, Matthäus Aurogallus, war einer der wichtigsten Mitarbeiter bei der Übersetzung des Alten Testamentes. Philipp Melanchton, der schon die Übersetzung des Neuen Testamentes mit Luther Zeile für Zeile durchgesehen hatte, erwies sich auch hier wieder als unschätzbare Hilfe. Später kamen noch andere Mitglieder in die Übersetzerkommission und dann wurde auch sorgfältig Protokoll geführt über die gemeinsame Arbeit. 

„Sorgfalt“ – das ist das Stichwort: Liest man Bücher über Luther als Bibelübersetzer, dann wird da immer voller Staunen geschrieben: `In nur 11 Wochen hat Luther ganz alleine das Neue Testament übersetzt.´ Ja, das ist erstaunlich und bewundernswert. Viel mehr aber beeindruckt mich die Sorgfalt, mit der Luther und seine Kollegen das Alte Testament übersetzt haben. Im Rückblick erzählt Luther in seinen Tischreden: „Als wir das Hiobbuch übersetzten, da taten wir uns so schwer damit, dass Philipp Melanchton, Matthäus Aurogallus und ich in vier Tagen manchmal kaum drei Zeilen fertigstellen konnten.“ 

Zwölf Jahre arbeiten Luther und seine Mitübersetzer an der Ausgabe des Alten Testamentes. Und es wird ein Werk, das bis in unsere Zeit hinein Menschen durch seine sprachliche Schönheit, seine poetische Kraft und seine feinfühlige Textdeutung berührt.

Hans-Christian Beutel – Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi

Martin Luthers Exemplar der Soncinobibel mit seinen handschriftlichen Anmerkungen
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