Vor 500 Jahren – Luther im September 1521
Am 9. September 1521 sitzt Martin Luther in seiner Studierstube auf der Wartburg – gut verborgen im Lockdown wenn man so will. Eine Etage darunter liegt die Wohnung des Burghauptmannes Hans von Berlepsch. Und der empfängt hohen Besuch: Herzog Johann ist gekommen, der Bruder des Kurfürsten. Als die beiden Männer so unter vier Augen miteinander reden, fragt Herzog Johann was denn dran sei an den Gerüchten, Luther halte sich auf der Wartburg auf. Nun ja, rundweg ableugnen kann es der Burghauptmann seinem hohen Gast gegenüber nicht. Und so bittet Herzog Johann um einen Gefallen. Nicht, dass er Luther treffen möchte, nein! Offiziell darf er ja nicht wissen, dass der Reformator nur ein Stockwerk höher logiert. Aber der Hauptmann möge doch Luther um eine schriftliche Predigt bitten über das Evangelium vom letzten Sonntag (8. September) – das von den zehn Aussätzigen, die gesund werden und sich den Priestern zeigen sollen, damit die ihre Heilung bestätigen (Lukas 17, 11-19). Dieser Text galt als einer der Hauptbelege für die Praxis der regelmäßigen Ohrenbeichte, also für die Verpflichtung der Gläubigen, in geregelten Abständen zum katholischen Priester zu gehen, um die Beichte abzulegen. Stimmt denn diese Auslegung? So fragt der verunsicherte Herzog.
Luther nimmt die Frage begeistert auf. Die Frage liegt in der Luft und beschäftigt nicht nur den Herzog. Wie wird die reformatorische Bewegung mit der Beichte umgehen? Abschaffen? In evangeliumsgemäßer Weise weiterführen?
Die Frage verlangt nach Klärung und so macht sich Luther mit Elan an die Ausarbeitung der verlangten Predigt. Eine Woche später ist sie fertig und wird dann in der Postille abgedruckt:
„… um es meinen lieben Deutschen mitten aus dem Faß zu credenzen“, so schreibt Luther, will er vom evangelischen Sinn der Beichte handeln:
Einen Bezug zur Beichte lässt sich aus diesem Text nicht ableiten. Das ist doch eine allegorische Auslegung, den Aussatz der 10 Männer mit der Sünde in eins zu setzen. Und ebenso allegorisch ist die Auslegung, die Aufforderung Jesu, die Männer mögen sich ihre Heilung von den Priestern bestätigen lassen, bilde die Praxis der regelmäßigen Ohrenbeichte ab. Luther beruft sich auf den Grundsatz Augustins: Die allegorische Auslegung beweist nichts. In diesem Fall ist sie noch nicht einmal in sich stimmig und mit dem allgemeinen Priestertum der Glaubenden lässt sie sich schon gar nicht vereinbaren.
Aber: das alles spricht nicht gegen die Beichte an sich. Die Beichte ist und bleibt für Luther sinnvoll. Nur darf sie keinem Zwang unterliegen.
Es ist für Luther Nötigung, wenn die Gläubigen darauf verpflichtet werden, regelmäßig zur Beichte zu gehen und dafür auch noch einen Beichtpfennig zu entrichten. Luther unterstellt finanzielle Interessen und frohlockt, dass er mit seiner Auslegung der Beichte den Papisten „wieder ein großes Loch in die Tasche gebissen habe“.
Also kein Zwang zur Beichte – aber dass die Beichte als ein seelsorgerliches Mittel weiterhin sinnvoll ist und bleiben soll, das steht für Martin Luther fest. Für uns heute leider nicht mehr. Was wir Protestanten da verloren haben, beschreibt der Schriftsteller Max Frisch so:
„Ein Katholik hat die Beichte, um sich von seinem Gewissen zu erholen, eine großartige Einrichtung; er kniet nieder und bricht sein Schweigen, ohne sich den Menschen auszuliefern, und nachher erhebt er sich, tritt wieder seine Rolle unter den Menschen an, erlöst von dem unseligen Verlangen, vom Menschen erkannt zu werden. Ich habe bloß meinen Hund, der schweigt wie ein Priester, und bei den ersten Menschenhäusern streichle ich ihn.“
Hans-Christian Beutel
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