Ein Wort, das ich noch nicht kannte: „Solastalgie“. Das Wort fehlte bisher in meinem Sprachschatz. Gelesen habe ich es bei dem Arzt und Kabarettisten Dr. Eckart von Hirschhausen. MENSCH, ERDE! Wir könnten es so schön haben – so der Titel seines neuen Buches, in dem er die großen Krisen unserer Zeit beschreibt.
„Solastalgie“* ist das Gefühl, das einen Menschen befällt, wenn er oder sie sich der Zerstörung des eigenen Lebensraumes bewußt wird. Mir ist das so ergangen, als ich in diesem Sommer durch abgestorbene Fichtenwälder nahe meines Elternhauses im Harz gegangen bin. Und ich bin dem Buch von Eckart v. Hirschhausen dankbar, dass es mir ein Wort anbietet, mit dem ich dieses Gefühl benennen kann.
Dankbar bin ich dem Buch auch dafür, dass es mir Hoffnung vermittelt! Es bietet eine Gesamtschau all dessen, was unser Leben auf diesem Planeten Erde bedroht. Es benennt klar, was unser Anteil an dieser Bedrohungslage ist („unser“ meint in diesem Fall uns Menschen der westlich geprägten Zivilisation). Und es macht deutlich, das wir Handlungsmöglichkeiten haben: wir sind dem Prozess der Zerstörung unseres Lebensraumes nicht ausgeliefert, sondern aktiv an ihm beteiligt. Ein Umsteuern ist möglich. Noch.
Dafür befragt Eckart von Hirschhausen Wissenschaftler aus dem Netzwerk „Scientists for Future“ – Experten, die klar die Kipp-Punkte beschreiben, an denen sich Umweltbedingungen unumkehrbar verändern. Einige dieser Kipp-Punkte haben wir bereits passiert, andere liegen vor uns. Und es ist nicht ausgemacht, dass wir auch noch diese Schwellen überschreiten müssen.
Eckart von Hirschhausen ist bekannt geworden mit Büchern und kabarettistischen Programmen, in denen er medizinisches Wissen humorvoll darstellt („Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“). Dieses neue Buch ist „garantiert 10% weniger lustig als früher“, wie ein imitierter Werbesticker auf dem Buchdeckel verspricht. Humorvoll ist es dennoch – aus gutem Grund, denn „Humor hilft heilen“! Es tut gut, wenn wir verbissenen Verbraucher einen Blick auf die lächerlichen Seiten unseres Lebensstiles tun – um dann leichter die notwendigen Abschiede zu vollziehen.
Die großen Stärken dieses Buches liegen einerseits in seiner Sprache: so leicht und humorvoll wie möglich, aber so eindringlich und problembewusst wie nötig. Die andere große Stärke liegt in der Zusammenschau der Problemlagen unserer Zeit: Ja, das ist eine bedrückende Vielzahl an Krisen, die dabei in den Blick kommen. Aber so kommen eben auch die Wechselwirkungen zwischen diesen Krisen mit in den Blick. „3 Krisen zum Preis von 2!“ ist noch so ein ironischer Werbesticker auf dem Buchumschlag. Eckart von Hirschhausen vermeidet es, die Komplexität des Themas zu reduzieren, um Probleme lösbar erscheinen zu lassen. „Keep it as simple as possible, not simpler“ hat Albert Einstein einmal gesagt – Eckart von Hirschhausen gelingt diese Gratwanderung in beeindruckender Weise!
Dr. Eckart von Hirschhausen: Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben
dtv-Verlagsgesellschaft 2021, 24 Euro
ISBN: 978-3-432-28276-5
- Solastalgie: von solacium (lat.: Trost) und -algia (griech.: Schmerz, Leiden, Krankheit). Der Begriff wurde 2005 durch den australischen Naturphilosophen Glenn Albrecht geprägt.
Hans-Christian Beutel
hans-christian.beutel@evl.fi