Uncategorised 2022-04-30

Roboter können keine Moral

von Hans–Christian Beutel

Richard David Precht: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

„Künstliche Intelligenz hat zwar einiges mit Intelligenz zu tun – aber kaum etwas mit Verstand und nicht entfernt mit Vernunft.“

Das Buch des Philosophen Richard David Precht lebt von solchen markanten Sätzen. Das macht es zu einem Lese-Erlebnis: 241 Seiten, mitreißend geschrieben, immer mal wieder ein Aha-Erlebnis – doch zum Schluss bleibt ein etwas schaler Geschmack. 

Zwei Dinge machen dieses Buch für mich wichtig: 

Zum einen denkt Richard David Precht Problemfelder zusammen, die ich tatsächlich in keinem anderen Buch zum Thema Künstliche Intelligenz verbunden gesehen habe: Die akute Klima-Problematik und die Selbst-Optimierung des Menschen durch Algorithmen. 

Zum anderen korrigiert Precht das Menschenbild, das dieser Selbst-Optimierung zugrunde liegt: Der Mensch ist mehr als ein Problemlöser, der an möglichst reibungslosen, logischen Abläufen interessiert ist. 

„Es geht, mit einem Wort, um die Frage eines künftigen Menschseins in einer immer technisierteren Welt.“ Das ist der Fokus des Buches. Precht beschreibt, wie Technisierung unser Leben verändert – vielfach schleichend und doch mit hohem Tempo. Das zentrale Motiv dieser Technisierung lautet „Effizienz“ – aber ist das etwas, was wir wirklich wollen: ein Leben, das auf Effizienz optimiert ist?  Precht stellt das in Frage: „Effizienz kann nämlich nicht nur als Vorteil gesehen werden. […] Wir wollen nicht effizient Wein trinken.“

Immer wieder bringt Precht die Frage nach dem guten Leben ins Spiel – und beschreibt dies als ein an Werten orientiertes und auf Resonanz mit der Welt um uns gegründetes Leben. Der Mensch ist für Precht ein Beziehungswesen, das gemeinsame Werte braucht, damit das Leben gelingt. „Künstliche Intelligenz hingegen empfindet keine Werte. Selbst wenn man versucht, ihr sogenannte Werte einzuprogrammieren, hat sie keine. Denn ein Wert, der nicht zugleich empfunden wird, ist keiner. Die Qualität von Liebe, Freundschaft, Charme und Takt ist ohne Gefühle und ohne die volle Beteiligung aller Sinne schlichtweg nicht erklärbar.“

Ein auf Effizienz optimiertes Leben ist für Precht ein seinem eigentlichen Sinn entfremdetes Leben. Dieser Entfremdung ist es geschuldet, dass wir unseren Lebensraum nicht mehr als Mitwelt wahrnehmen, zu der wir in Beziehung stehen, sondern als Umwelt, die für unseren gestaltenden Zugriff zugänglich ist. Darin ist die Klimakrise begründet. Die Pioniere der Künstlichen Inelligenz entwickeln Pläne zur „Optimierung des Menschen, ohne das gesamte ökologische Desaster, auf das wir im Eiltempo zumarschieren, überhaupt zu reflektieren.“ An dieser Stelle diagnosiziert Precht „die Kluft […] unserer Zeit“ und fordert ein integrierendes Nachdenken statt der unverbundenen Fachspezifik, die zu den Phantasien der Post- und Transhumanisten, die den Menschen aus den Beschränkungen herausentwickeln wollen, denen er als Beziehungswesen doch notwendig unterliegt. 

Precht entwirft ein düster-dystopisches Bild von der Zukunft, die von den Entwicklern der Künstlichen Intelligenz anvisiert wird. Und hier entsteht der schale Geschmack beim Lesen des Buches. Precht setzt sich sehr polemisch mit den extremen Vertretern eines Post- und Transhumanismus auseinander und nimmt sie als die entscheidenden Protagonisten der Entwicklung künstlicher Intelligenz in Anspruch. Dadurch entsteht der Eindruck einer insgesamt sinnentfremdeten Szene – ein Eindruck, den ich von meiner Beschäftigung mit dem Thema Künstlicher Intelligenz her nicht teilen kann. Ohne für mich da einen besonders tiefen oder umfassenden Eindruck zu reklamieren: ich nehme unter den Menschen, die an der Entwicklung künstlicher Intelligenz beteiligt sind, auch viele Vertreter und Vertreterinnen wahr, die ethisch verantwortungsvoll handeln, durchaus von Werten geleitet und an menschlichen Beziehungen orientiert sind. Gemessen daran wirkt das Buch von Richard David Precht über weite Strecken wie ein Zerrbild auf mich.

Richard David Precht

Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

Goldmann-Verlag, 2020

ISBN 978-3-442-14274-3

p.s. Am 13. Mai 2022 findet in Helsinki ein Seminartag zum Thema Ethik und Künstliche Intelligenz statt – Informationen dazu unter www.ethicsx.ai

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