Unsere Welt neu denken

von Hans–Christian Beutel

Eine Einladung

Maja Göpel ist Transformationsforscherin. Wie verändern sich politische, soziale und ökonomische Systeme? Das ist ihr Forschungsfeld. 

Was kann und soll sich verändern, damit wir die Wende hin zu einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Lebensweise gut gestalten? Dieser Frage geht sie in ihrem Buch: „Unsere Welt neu denken“ nach. 

Nichts ist alternativlos – das ist die Grundhaltung, mit der Maja Göpel unsere derzeitige Form des Wirtschaftens beschreibt: „Der Markt ist kein regelfreier Raum, sondern erst durch Regeln erschaffen worden.“ Welche Investitionen wahrscheinlich sind und welche nicht, entscheidet sich daran, welche Regeln gelten. Und diese Regeln lassen sich verändern. Wir haben die Möglichkeit, sie so zu gestalten, dass Investitionen in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens gehen.

Das klingt nach trockener Theorie – was politische Ökonomie ja nun mal auch ist. Aber Maja Göpel hat eine seltene Gabe, ihre Einsichten sprachlich klar und anschaulich zu vermitteln. Ein Buch über Ökonomie und Ökologie, das sich spannend ließt! Wie gelingt ihr das? Dazu eine Leseprobe, in der Maja Göpel aus der Zeit Ihres Ökonomiestudiums erzählt:

„Ich erinnere mich, wie in einer dieser Vorlesungen ein Professor erklärte, dass Arbeiter*innen immer dort hinreisen werden, wo sie den höchsten Lohn bekommen, auch wenn das bedeute, dass sie in ein anderes Land umziehen müssen. Als ich mich meldete und fragte, ab wie viel Armut vor Ort und Lohnunterschied Menschen denn ihre Familie verlassen würden und wie es sein kann, dass für einen solchen Aufwand aufseiten der Arbeiter*innen keinerlei Kosten in dem Modell auflaufen würden, wurde es plötzlich still im Hörsaal.

Der Professor sah seinen Assistenten an, und die Student*innen starrten mich an. Schließlich ertönte: »Seht her, da spricht ja ein warmes Herz!« 

Eine Beantwortung meiner Frage blieb aus. Seitdem beschäftigt es mich, wieso die Wirtschaftswissenschaften sich gerne eines kalten Herzens rühmen und was daran gut sein soll.“

Maja Göpel steht für eine Ökonomische Theorie, die Empathie voraussetzt und ermöglicht. Die bestimmenden ökonomischen Modelle der letzten 250 Jahre gehen von einem bestimmten Menschenbild aus: dem homo oeconomicus, der sich konsequent nach seinem persönlichen Vorteil verhält. Dieses Menschenbild teilt Maja Göpel nicht. Dazu eine erhellende Szene:

In einer bewegenden Bundespressekonferenz am 12. März 2019 sitzen Dr. Eckart von Hirschhausen und Prof. Dr. Maja Göpel auf dem Podium. Maja Göpel beantwortet eine Frage und verwendet dabei die Formulierung: „postautistische Ökonomiebewegungen“ – Eckart von Hirschhausen neben ihr beginnt zu kichern und fragt zurück: „Das heißt `postautistisch´?“. „Ja“, antwortet Maja Göpel: „der homo oeconomicus ist ein Wesen mit Null Qualitäten menschlicher Empathie, Einfühlungsvermögen.“ (Link am Ende des Beitrags). Mit den herrschenden Anreizsystemen schafft die Ökonomie den homo oeconomicus – aber dass der Mensch an sich so sei, das hält Maja Göpel für eine Unterstellung, der wir mit unserem Handeln widersprechen sollten.

250 Jahre Entwicklung haben zum derzeitigen System kapitalistischen Wirtschaftens und seinen Aporien geführt. Der homo oeconomicus ist dabei klar das Leitbild gewesen, aber es gibt eben auch eine Spur durch diese Zeit, die den Menschen als ethisch entscheidungsfähiges Subjekt begreift. Das macht Maja Göpel u.a. am Beispiel von Adam Smith deutlich, dem Autor des Werkes »Der Wohlstand der Nationen«, das wie ein Gründungsmanifest der freien Marktwirtschaft zitiert wird. „Dass Adam Smiths zweites großes Werk »Die Theorie der ethischen Gefühle« heißt, in dem er die Fähigkeit zum Mitgefühl als Wesenszug des Menschen beschreibt, wird oft genauso ausgeblendet wie die Tatsache, dass er klar für regulierende Gesetze eintragt, also mitnichten davon ausging, der Markt werde schon alles von allein regeln.“  

„Unsere heutige Welt unterscheidet sich fundamental von der Welt vor zweihundertfünfzig Jahren, als die industrielle Revolution begann. Und doch suchen wir heute vorwiegend mit der damaligen Sichtweise auf die Welt nach Lösungen. Wir haben vergessen, unsere Denkmuster auf ihre Tauglichkeit für die Gegenwart zu prüfen. Sie zu hinterfragen macht den Blick auf die Hebel frei, mit der wir aus der Krise in die Zukunftsgestaltung im 21. Jahrhundert kommen.“

Nicht „reaktiv eine schlechte Zukunft abzuwehren“, sondern „proaktiv eine wünschenswerte Zukunft gestalten“ ist das Anliegen von Maja Göpel. Und hier kommt ihre zweite große Stärke ins Spiel: Neben ihrem sprachlichen Talent für einprägsame und erhellende Formulierungen gelingt es Maja Göpel, komplexe Zusammenhänge nachvollziehbar darzustellen. Die ökologische Krise ist nicht zu lösen, wenn sie nicht auch als eine soziale Krise begriffen wird, die politische und wirtschaftliche Bedingungen und Folgewirkungen hat. Unser Wirtschaftssystem, das auf Wachstum als Selbstzweck ausgerichtet ist, stößt bei anhaltendem Bevölkerungswachstum, begrenzten Ressourcen und sich beschleunigendem Klimawandel unweigerlich an seine Grenzen. Lösungsansätze, die sich auf einzelne Aspekte in diesem Geflecht fokussieren, haben immer auch (Neben-)Wirkungen auf die anderen Aspekte, die dramatische Konsequenzen hervorrufen können. Dass aber ein systemischer Umbau möglich ist – das ist der große Optimismus, den Maja Göpel in ihrem Buch vermittelt. 

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken – Eine Einladung

Ullstein Verlag, Berlin 2020

ISBN 978-3-550-20079-3

Link zur Bundespressekonferenz vom 12.3.2019: 

https://www.youtube.com/watch?v=OAoPkVfeTo0 – Die Antwort von Prof. Dr. Göpel beginnt bei Minute 42:45. 

  Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi 

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