Es gibt Worte, die lassen einen Menschen nicht los, lebenslang nicht. Ein solches Wort hatte der Vater Martin Luthers am 2. Mai 1507 gesagt: „Wohlan, wollte Gott, dass kein Teufel dahinter wäre.“ Das hat der Sohn nie vergessen und nie wirklich verwunden.
Es war nach der ersten Messe, die Martin Luther als junger Mönch geleitet hatte.
Vater Hans Luder war nach Erfurt gekommen, um der Primitz seinen Sohnes beizuwohnen. Es hätte eine Geste der Versöhnung von Vater und Sohn sein können: seit Martins Entschluss, das Jura-Studium abzubrechen und ins Kloster einzutreten, hatten die beiden sich nicht mehr gesehen. Der schöne Plan Hans Luders, dass sein Sohn den Bergbaubetrieb eines Tages übernehmen würde, hatte sich zerschlagen und das hat er Martin lange nicht verziehen. Nun aber kommt er immerhin zur Feier der Primitz. Aber beim anschließenden Festessen für den frisch ordinierten Geistlichen liest der Vater dem Sohn die Leviten: „Habt ihr nicht gelesen, du sollst Vater und Mutter ehren?“ Er kommt auf das Gewitter zu sprechen, in dem Martin aus Todesangst heraus gelobt hatte, Mönch werden zu wollen. Und dann fällt der Satz – er fällt zentnerschwer auf Martins Seele:
„Wohlan, wollte Gott, dass kein Teufel dahinter wäre.“
Im Frühsommer 1521 befindet sich Martin Luther im Lockdown auf der Wartburg. Und er hat Zeit. Er hat Zeit darüber nachzudenken, was diese Worte in ihm ausgelöst hatten „Wohlan, wollte Gott, dass kein Teufel dahinter wäre.“
Auf dem Reichstag zu Worms hatte Luther tatsächlich wie ein vom Teufel Getriebener gewirkt: besessen!
Aber besessen von was? Besessen von einer Wahrheit, für die es den Einsatz sogar des Lebens lohnte? Oder besessen vom Teufel, der ihn ritt, um der Kirche zu schaden? Seit Jahren hatte Luther in der Spannung zwischen diesen beiden Lesarten gelebt – seit Jahren hatte er aus dieser Spannung die Energie bezogen, sich an allen irdischen Vaterfiguren abzuarbeiten bis hin zu Papst und Kaiser. Wie ein Besessener.
Nun befindet er sich wohlbehütet auf der Wartburg, und er befindet sich dort in einem Abklingbecken für den religiösen Fanatismus. Wahrscheinlich hat es die extremistische Energie eines unbedingten Wahrheitsanspruches gebraucht, um Papst und Kaiser standhalten zu können. Nun aber muss da etwas anders werden, wenn die reformatorische Bewegung nicht zur religiösen Sekte werden soll.
Viel ist vom Teufel die Rede in den Briefen, die er in dieser Zeit schreibt. Aber es fehlt der stolze Ton, mit dem er vor einigen Wochen noch geschrieben hatte: Er wolle „nach Worms hinein, selbst wenn in der Stadt so viele Teufel wie Ziegel auf den Dächern wären“. Demütiger klingen die Briefe nun, nachdenklicher. Da geht ein Mensch den Grundkonflikten seines Lebens nach (wieviel Mut braucht das!) und versucht Klarheit über sich zu gewinnen (wie schwer ist das!). Im November wird Luther einen Brief an seinen Vater schreiben über das, was er in dieser Zeit über sich erfahren und gelernt hat. Aber merkwürdig: er wird diesen Brief auf Latein schreiben – eine Sprache, die der Vater nicht beherrscht! Noch ist es zu früh, mit dem Vater wirklich wieder in Kontakt zu kommen. Das wird erst 1523 gelingen, als Luther heiratet.
Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) Porträt von Hans Luther, Luthers Vater / Porträt von Margaretha Luther, Luthers Mutter