Gottesdienst 2020-11-22

A-Z der Liturgie: H wie „Halleluja“

von Hans–Christian Beutel

Auf Adlers Schwingen …

„Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler …“, heißt es im Jesajabuch 40,31. Das Halleluja ist im Gottesdienst die Stelle, an der der Adler abhebt. 

Vorher ist ganz viel geschehen, was mit unserer Erdenschwere zu tun hat: Wir bringen vor Gott, was uns Sorgen macht, was uns belastet und nicht zur Ruhe kommen lässt. Wir bekennen vor Gott, wo Entfremdung und Sünde es uns schwer machen, in Kontakt zu Gott zu kommen, in Beziehung zu Gott zu leben. Wir hören Gottes Zusage: „Du bist bei all dem ein Mensch, den ich liebe und nicht fallen lassen werde.“ Dafür singen wir Gott dankbar unser Lob. 

Die gesamte Eingangsliturgie ist ein allmähliches Freiwerden für Gott. Bis zum Gebet vor der Schriftlesung zielt alles darauf, sich für Gottes Wort zu öffnen. Und dann hat Gott das Wort.

Eine Lesung aus den Geschichtsbüchern des Volkes Israel, den Prophetenbüchern oder aus den Briefen der ersten Christengemeinden wird vorgetragen. Im Bild aus dem Jesajabuch gesprochen: Hier wird Dir die Kraft zugesprochen, Mut gemacht, Orientierung geschenkt, Freude geweckt.

Als Gemeinde nehmen wir das auf mit dem Graduallied – das ist im Grunde die Stelle, an der der Adler die Schwingen ausbreitet, Luft unter die Flügel bekommt und seine Kräfte spürt. Und das Halleluja ist der Moment, an dem der Adler abhebt und auffährt.

Das Halleluja ist der Moment, an dem im Gottesdienst eine Dynamik spürbar wird (oder doch spürbar werden sollte), die der Seele Flügel verleiht. 

Und dann folgt das Evangelium: nun bist Du vorbereitet, Gottes heilendes und Hoffnung stiftendes Wort zu hören.  

Ich habe eben einschränkend in Klammern gesetzt „(oder doch spürbar werden sollte)“. Denn tatsächlich ist das selten spürbar. Und das liegt an einer merkwürdigen Vertauschung: Wir singen erst das Halleluja und dann das Graduallied. Das ist als ob der Adler auffliegen wollte, ehe er die Schwingen ausgebreitet hat. Diese Sequenz „funktioniert“ nicht gut in unseren Gottesdiensten. Das ändert sich nun mit dem Gottesdienstbuch 2020: Die ursprüngliche Reihenfolge von erster Lesung, Graduale, Halleluja und Evangelium wird damit wieder hergestellt und eine liturgische Fehlentwicklung korrigiert (wen die Hintergründe dieser Fehlentwicklung interessieren: weiter unten werde ich das einmal nachzeichnen). 

aus tiefster Seele …

Schauen wir zunächst, was das Halleluja ursprünglich ausgemacht hat:

Es gibt Berichte aus der Alten Kirche – also aus den ersten drei Jahrhunderten, in denen noch sehr viel Spontanität das liturgische Leben prägte. Da wird erzählt, wie im Halleluja sich echter Jubel ausgedrückt: In den Gottesdiensten dieser frühen Christengemeinden wird das „Lobt Gott“ (so die Übersetzung des hebräischen Wortes „Hallelu-Jah“) angestimmt und dann bleibt der letzte Ton stehen. Der Vokal „a“ wird ausgehalten und sein Ton variiert. Eine Melodie entwickelt sich, die verschiedenen Stimmen der Menschen finden in eine Harmonie zueinander und dieser Gesang steigert sich. Die Stimmen werden zu Instrumenten, ein „wortloses Jubilieren“ füllt den Raum und die Seele. Wer einmal den schwedischen Film „Wie im Himmel“ („Så som i himmelen“) gesehen hat, erinnert sich jetzt vielleicht an die Schluss-Szene: ein Kirchenchor, der spontan in diese Art von befreiendem Gesang hineinfindet.

Das Bewegende der alten Berichte ist folgendes: sie erzählen, wie dieser Gesang auch den Alltag prägt. In den Feldern klingt das Halleluja auf, wenn Menschen bei der Arbeit singen. Wenn Du Dir bewußt machst, dass die christlichen Gemeinden in dieser Zeit vor allem von den Unterprivilegierten, häufig von Sklaven, geprägt waren, dann wird Dir die Beziehung zum „Spiritual“ der Sklaven auf den Plantagen der amerikanischen Südstaaten auffallen: das Halleluja ist eher Gospelsong als gregorianischer Gesang.   

mit hoffnungsvollem Herzen …

Doch auch die Gregorianik weiß das Halleluja zu gestalten. 

Eine romanische Basilika: Gerade ist die Brieflesung vorgetragen worden und nun stimmt der Kantor das Graduale an. In weitgespannten Melodiebögen klingen die Worte eines Psalmes durch den Raum. Dann ein Moment des Innehaltens, der letzte Ton bleibt stehen, verklingt. Stille. Erwartung. Der Chor setzt ein mit dem Halleluja-Gesang. Das Evangeliar – eine reich geschmückte Handschrift der Evangelientexte – wird hereingetragen, begleitet von zwei Leuchtern. Die Gemeinde steht und stimmt ein in das Halleluja, mit dem das Evangelium begrüßt wird.

(An zwei Ankerstellen des Kirchenjahres wird der Einzug Jesu in Jerusalem als Evangeliumslesung vorgetragen: Am ersten Adventssonntag und zu Palmarum. Und an all den anderen Sonntagen, an denen das Halleluja gesungen wird, erinnert und vergegenwärtigt dieser Gesang den Empfang, den die Menschen Jesus damals bereitet haben.)

Nun wird das Evangeliar auf das Lesepult gelegt. Die beiden Leuchter werden rechts und links vom Lesepult aufgestellt: Eine Kerze steht für das Gesetz, die Thora, die Weisungen Gottes. Die andere Kerze steht für die Propheten. Im Licht von Gesetz und Propheten wird das Evangelium gelesen. Im Licht der Weisungen Gottes und der prophetischen Botschaft kann es verstanden werden.

… das Aschenputtel aus dem Schatten holen.

Warum nur ist in unseren Gottesdiensten so wenig von diesem „Auffahren mit Flügeln wie Adler“ zu spüren? Hier sind wir nun bei der oben angesprochenen liturgischen Fehlentwicklung. Christoph Albrecht, ein evangelischer Liturgiewissenschaftler, schreibt: „In der evangelischen Kirche wurde das Halleluja mehr und mehr seines Charakters als eines selbstständigen liturgischen Stückes beraubt. Es wurde zur Antwort der Gemeinde auf die Epistel. Wie man die Gebete mit einem Amen beantwortete, so beantwortete man die Epistel mit einem Halleluja. An Stelle des Sonntag für Sonntag wechselnden Hallelujaverses sprach der Liturg meist einen gleichbleibenden Bibelspruch nach der Verlesung – ein Aschenhäufchen des ursprünglichen Brauches.“  

Diese Fehlentwicklung setzt schon in der Reformationszeit ein. Martin Luther bleibt bei dem ursprünglichen Brauch und auch Thomas Müntzer behält ihn bei und pflegt ihn. Aber an anderen Orten wird das Halleluja mehr und mehr zum entbehrlichen Schmuck, zum Ornament, das man auch weglassen kann: Johannes Bugenhagen in Braunschweig kennt und schätzt noch das feierlich gesungene Halleluja und setzt einen Chor von Schülern dafür ein. Aber, so schreibt er in seinem behaglich breiten Niederdeutsch: „Wor neyne schölere synt, dar darf me des Haleluja nicht.“ (Wenn man neue, ungeübte Schüler im Chor hat, da braucht man das Halleluja nicht singt.)

Ungemütlich wird es dagegen in der Schweiz: Huldrych Zwingli führt eine Gottesdienstordnung ein, die ganz auf lehrhafte Wortverkündigung ausgerichtet ist und dem Gesang nur ganz wenig Raum lässt. Die Gemeinde hat schweigend  zu hören und mit „Gesang und Gebet im Herzen“ zu antworten. Zum Halleluja bemerkt er nur: „Künftig wollen wir es noch beharrlicher meiden als die Juden das Schweinefleisch, sonst erfüllen wir dadurch womöglich noch die Gehörlosen mit Ekel.“ Bei aller Sympathie für Zwingli: Auf diesem argumentativen Niveau wird man kaum noch einen Blick für die Weisheit behalten, die in der über Jahrhunderte gewachsenen liturgischen Tradition bewahrt ist.

Kurzum: das Halleluja kommt unter die Räder reformatorischer Radikalkuren. Es bedarf eines Eingriffes von außen, um dem Halleluja wieder einen Platz im Gottesdienst zu geben: In Preußen ordnet König Friedrich Wilhelm III. den Gottesdienst, indem er eine Agende erlässt. Dort steht nun das Halleluja als bescheidener Antwortgesang der Gemeinde auf die Epistel-Lesung und damit im Schatten des dann folgenden Wochenliedes. Seitdem fristet es dort die Kümmerexistenz eines Aschenputtels der Liturgie.

Anders verläuft allerdings die Entwicklung in Skandinavien. Dort hält man sich an Luther und bekommt von Zwingli und anderen Reformatoren nicht viel mit. Hier bleibt das Halleluja selbstverständlich an seiner Stelle und dort steht es noch heute. Wenn ich im Land unterwegs bin, dann schicke ich den Kantorinnen vor Ort die Gottesdienstliturgie unserer Gemeinde vorher zu. Und oft passiert es, dass sie mich dann bei der Besprechung vor dem Gottesdienst fragen, ob ich hier einen Fehler gemacht habe: Das Halleluja steht doch nicht beim Evangelium! Ja, das ist wahr – da gehört es eigentlich hin. Und dieser Fehler wird mir in Zukunft nicht mehr vorkommen, denn im Ausschuss für Gottesdienst und Gemeindeentwicklung und im Kirchenrat haben wir uns nun darauf verständigt, dem Vorschlag des Evangelischen Gottesdienstbuches 2020 zu folgen und das Halleluja wieder als Gesang zum Evangelium zu singen. Ich hoffe sehr, dass es nun – als eigenständiges liturgisches Stück – wieder seine Ausstrahlung zurückgewinnen wird.

In den Psalmen steht das Halleluja am Übergang von der Klage zum befreiten Lob Gottes. Dass diese Dynamik doch wieder in unseren Gottesdiensten spürbar würde! Es wird uns gut tun.


Das Zitat von Christoph Albrecht stammt aus „Einführung in die Liturgik“, Berlin  1983, S. 50. Sonst habe ich für diesen Artikel auf folgende Bücher zurückgegriffen: Karl-Heinrich Bieritz: Liturgik, Berlin 2004; Carl Henrik Martling: Liturgik, Stockholm1996; Frank Meibaum: Das Gottesdienstbuch, Stuttgart/Kiel 1998; Artikel zu Halleluja und Graduale, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 3, Tübingen 2000. 

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