Reformation 2022-02-26

„… in einem gar viel höheren Schutz.“

von Hans–Christian Beutel

Luther im März 1522 – 500 Jahre Reformation

Anfang März 1522 bricht Luther auf. Er verlässt die Wartburg – den Zufluchtsort, der ihm in den letzten Monaten Sicherheit und die nötige Ruhe für seine Arbeit geboten hatte. Das neue Testament hatte er übersetzt – das Manuskript lag in seinem Reisegepäck. Nun macht er sich auf den Weg nach Wittenberg.  

Die Reise stand von Anfang an unter keinem guten Stern: In Wittenberg war die Reformation aus dem Ruder gelaufen. Es hatte Irrungen und Wirrungen, gegeben: übereilte Gottesdienstreformen verunsicherten die Gemeinde, bilderstürmerische Aktionen beschädigten die liturgischen Räume, das Vertrauen in einen heilvollen Fortgang der Reformation wich dem Gefühl, auf einem schwankenden Boot die Elbe hinabzutreiben während selbsternannte Steuermänner sich das Ruder gegenseitig aus den Händen rissen. 

Kurfürst Friedrich der Weise sah die Klippen, auf die das Boot zutrieb: Aus der kaiserlichen Reichsverwaltung hatte er jüngst eine scharfe Abmahnung wegen der Unruhen gegeben und der Bischof von Meißen hatte eine Visitation angekündigt. Besser, wenn Luther jetzt nicht gerade in dem Tumult auftauchte! Und so lässt er durch seinen Eisenacher Amtmann Johann Oßwald dem „Gefangenen“ auf der Wartburg streng untersagen, „sich wieder gen Wittenberg zu wenden.“ Es würde ihm nicht zum Guten gereichen, wenn er sich in dieser politisch verworrenen Lage „würde öffentlich sehen lassen.“

Natürlich ist Luther diese Warnung nicht egal. Er weiß um die Brisanz, die seine Reise auch für den von ihm geschätzten Kurfürsten hat. Aber er ist im Innersten überzeugt davon, dass es genau jetzt auf ihn ankommt. Er weiß niemanden, der das Boot wieder in ein gutes Fahrwasser steuern könnte – außer ihm selbst!

Für die letzte Übernachtung vor Wittenberg macht Luther in dem kleinen Ort  Borna Station. Von hier aus schreibt er an Friedrich den Weisen und dieser in großer Eile geschriebene Brief ist „eines der großen weltgeschichtlichen Dokumente individueller menschlicher Freiheit“ (Heinz Schilling). Es geht ihm nahe, dass er den Kurfürsten durch seine Entscheidung in Schwierigkeiten bringen wird, „denn ich soll und muss jedermann tröstlich und nicht schädlich sein, will ich ein rechter Christ sein.“ Aber der Fürst möge doch nun wissen „oder weiß er es nicht, so laß er es sich hiermit kund sein: daß ich das Evangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel durch unsern Herrn Jesum Christum habe.“ Ausdrücklich verzichtet er auf jeden Schutz, den der Kurfürst ihm gewähren könnte, denn er komme „in einem gar viel höheren Schutz.“

Am 6. März ist Luther wieder in Wittenberg. Am 9. März 1522, dem Sonntag Invokavit, steht er auf der Kanzel der Marienkirche. Dort wird er bis zum darauffolgenden Sonntag an jedem Tag stehen.Dort hält er seine berühmten „Invokavitpredigten“- acht Predigten, in denen er für eine neue Grundorientierung der reformatorischen Bewegung sorgt. 

Wo anders als an dem Sohn Gottes könnten wir denn Orientierung finden! Wir sind Kinder des Zorns und unsere Entscheidungen und Handlungen sind nicht so, dass wir damit Gottes Werk fördern könnten. Im Glauben und in der Liebe zueinander werden wir zu Nachfolgern Christi und zu Ausübenden seines Willens. Darauf allein kommt es an – und Gottes Willen geschieht nie durch eines Menschen Gewalt. Daher führt alles menschliche Drängen und Nötigen in die Irre: „Ich kann nicht weiter an Menschen herankommen als bis zu deren Ohr; in ihr Herz kann ich nicht kommen. Und weil ich den Glauben nicht in ihr Herz gießen kann, so kann und darf ich sie niemals zwingen oder bedrängen, denn Gott tut es alleine und macht, daß er im Herzen der Menschen lebt.“ 

Mit diesen Predigten gibt Luther der Reformation in Deutschland wieder eine klare Ausrichtung: „Friedliche Reformation, nicht gewaltsame Revolution.“ Für Konflikte in den Kirchen der Reformation stellt Luther eine Maxime auf: „Überzeugen aus der Kraft des Wortes Gottes heraus, nicht durch den Einsatz von Gewalt!“

Und tatsächlich: In diesem Frühjahr 1522 schafft Luther es, auch seine Kontrahenten zu überzeugen. Er sammelt die reformatorische Bewegung noch einmal hinter einem gemeinsamen Ziel. Nur einen verliert er dabei: seinen ehemaligen Freund und Kollegen Andreas Karlstadt. Ihm wird die Hauptverantwortung an den Wittenberger Wirren zugewiesen. Mit ihm geht Luther fortan in einer Härte um, die auch ihre kleinlichen Seiten hat und von verletzter Eitelkeit zeugt. Sein Eingreifen im März 1522 zeigt Luther als ganz und gar auf Christus orientierten Theologen, der mit großer Sicherheit und Führungsstärke die Reformation durch schwieriges Fahrwasser steuert – aber er bleibt dabei doch auch ein Mensch mit ganz und gar menschlichen Schwächen.      

Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi

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