Uncategorised 2022-03-27

„… Aber die Liebe bettelt bei ihnen.“

von Hans–Christian Beutel

Unbeugsam, kraftvoll, leidenschaftlich. So haben wir Luther vor Augen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.“ Luthers Worte vor dem Reichstag in Worms haben unser Bild von ihm geprägt: Keinen Millimeter zurückweichen, wenn es um die Wahrheit geht. Selbst vor Fürst und Kaiser und Papst für die Freiheit des Evangeliums eintreten. Oft mit zugespitzten, schneidend scharfen Formulierungen. Gelegentlich auch polternd. Ein Meister der Polemik. Das war Luther – oder besser gesagt: Das war Luther auch. Denn nun lernen wir eine andere Seite an ihm kennen: Vorsichtig, genau abwägend, geduldig abwartend, Ziele über lange Zeiträume beharrlich und doch sanft verfolgend. Auch das ist Luther!

Im März hatten wir gelesen, wie seine Invokavitpredigten die Reformation einfangen, die in Wittenberg ganz offensichtlich aus dem Ruder gelaufen war. Vor allem bei der Frage der Gottesdienstgestaltung hatten Andreas Karlstadt und die Zwickauer Propheten Neuerungen eingeführt, mit denen sie die Gemeinde schlicht überforderten. Wer mit einer übergroßen Scheu vor der Heiligkeit des Abendmahles aufgewachsen ist, für den ist es eine Überforderung, von jetzt auf gleich das Brot in die Hand zu nehmen und aus dem Kelch zu trinken, der bis dato dem Priester allein vorbehalten war. 

Gewiss, theologisch spricht nichts dagegen, sich die Abendmahlsoblate in die Hand geben zu lassen und gemäß den Einsetzungsworten „Nehmet hin und trinket alle daraus“ den Kelch in die Hand zu nehmen und daraus zu trinken. Soweit hatten die Wittenberger Reformer schon recht. Aber Luther merkt an: „Hierin haben meine Wittenberger einen großen Fehlgriff getan: Recht haben sie gelehret, aber nicht recht haben sie die Lehre braucht, die Kunst ist reich bei ihnen, aber die Liebe bettelt bei ihnen.“

Für Luther ist es eine gemeindepädagogische Aufgabe, solche Neuerungen behutsam und nachvollziehbar einzuführen. Andernfalls würde man die Gewissen der Gemeindeglieder belasten. Das wäre lieblos!

Hatte nicht Paulus in seinem Briefwechsel mit der Gemeinde in Korinth darauf bestanden, dass auf die Gewissen der Schwachen Rücksicht zu nehmen ein Akt der Liebe sei?! Das wird jetzt Luthers entscheidendes Kriterium für die Gestaltung der Gottesdienstreform. Und er wird sich und der Gemeinde viel Zeit lassen, sich in eine neue, evangeliumsgemäße Liturgie hineinzufinden. 

Hans-Christian Beutel, Kontakt: hans-christian.beutel@evl.fi

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